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Meistens fangen große Geschichten im Kleinen an.
Und zwar so, dass sie anfangs nicht einmal Geschichten genannt werden.
Vielleicht sogar nicht einmal Brief oder E-Mail.
Sondern „WhatsApp-Nachricht“.
Denn genau damit fing diese Geschichte hier an.

„Hey …, deine Museumsführung wartet!
Die Schulklasse steht schon in Storms großem Wohnzimmer und fragt sich,
Warum an der Wand zwei Frauen und insgesamt acht Kinderfotos hängen…
Ich mache sonst schon einmal die Einführung, ich zähl aber auf dich!
Bis gleich,
Tom“

So eine Nachricht hatte ich noch nie bekommen, was vielleicht auch daran lag, dass ich in den zwei Jahren, die ich schon im Theodor-Storm-Museum arbeite, auch noch nie zu spät gekommen bin. Naja, es gibt wohl immer ein erstes Mal…

Und dieses erste Mal führte mich zu Tom. So kam es, dass wir uns kennen lernten.
Doch wir lernten uns nicht nur kennen, wir verstanden uns auch.
Er hatte wunderschöne blaue Augen, aber noch mehr faszinierten mich seine Worte, denn eigentlich passten sie gar nicht zu dem jungen Körper, der ihm gehörte.
Seine Worte trugen einen ganz weit weg.
In ferne Länder, wunderschöne Wälder und zu den außergewöhnlichsten Menschen.
Man könnte auch sagen, dass einen seine Worte mit auf Safari nahmen.
Er wusste viel, doch er prahlte nicht damit.
Er wollte sein Wissen teilen und zwar so, dass es greifbar wurde.
Wenn er von Spaziergängen am weißen kubanischen Strand sprach, spürte ich ihn unter meinen Füßen und eine frische Brise wehte mir durchs Haar.
Wenn er vom Omphalos „dem Nabel der Welt“ erzählte, der sich in Delphi befindet, dann konnte ich Zeus in Gestalt eines Adlers, vor mir sehen wie er mit diesem Ei, die Mitte der Welt markierte.
Oder wenn er vom Markusdom in Venedig berichtete, dann stiegen mir Tränen in die Augen, weil ich seine Schönheit in vollster Pracht vor mir sah und Ornamente und Malereien mich berührten.

All das konnte Tom allein mit seinen Worten erreichen und ich kann rückblickend sagen, dass ich seine Geschichten geliebt habe.
Aber nicht nur seine Geschichten, auch seine Person und zwar für all das, was ihn ausgemacht hat.

Ich habe Tom nie erzählt, was ich für ihn empfand.
Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, ihm mein Herz vor die Füße zu legen.
Habe mich gefragt, was die Leute wohl sagen würden und ob wir überhaupt je eine Zukunft hätten.

Und wisst ihr was?
Es gab ihn so oft.
Den „perfekten Moment“
Das Problem war nur mein Name,
denn der lautet nämlich Vincent…

und ich habe es einfach nicht fertig gebracht
ihm in seine blauen Augen, die voller Geschichten waren, zu sehen
und ihm meine Gefühle zu gestehen.

Es war schon schwer genug überhaupt zu akzeptieren,
dass Frauen im Kampf um meine Gunst verlier ‘n,
was keineswegs böse gemeint ist,
sondern nur den Tatsachen entspricht.

Ich erinnere mich noch gut an diesen Augenblick,
in dem ich meiner Mutter von meinen Gefühlen erzählte.
Sie wirkte gefasst, aufrichtig und fast schon verständnisvoll,
wäre da nicht diese Aggression in ihren Augen darüber,
dass ich einen Mann als Lebenspartner wählte
und sie der Gedanke daran, nie ein Enkelkind zu haben, quälte.

Am schlimmsten war es, wenn sie Wein trank
Und sagte: „Ich solle es doch mal mit Frauen probieren“

„Warum fängst du an meine Sexualität zu negieren
Und sie absolut nicht ernst zu nehmen?
Was ist denn so schwer daran meine Gefühle zu verstehen
Und mich als selbstständiges Individuum wahrzunehmen?
Ich brauche deine Bevormundung nicht
Und weißt du was?
Du hast als Elternteil auch eine Pflicht!

Mich zu unterstützen, zu akzeptieren und … zu lieben
Wenn du das nicht kannst, warst du vielleicht nicht bereit Kinder zu kriegen
Und Verantwortung zu übernehmen.“

Ich wünschte…all das hätte ich dir gesagt,
du hast natürlich nicht nach meiner Meinung gefragt
und ich habe es auch nicht geschafft für mich einzustehen
und hab, mal wieder, versagt.

Stattdessen hab ich mich verschlossen
Tom nicht mehr getroffen
Und versucht zu sein, wer ich nicht bin
Natürlich hatte ich auch `ne Freundin…

Nur hat mich das nicht glücklich gemacht
Ich war allein, unverstanden und wollte
einfach nicht mehr ich selber sein.
Bis zu diesem einen Tag,
an dem ich dachte, dass es für mich keinen Morgen mehr gab.
Ich habe realisiert, dass Leben das ist, was ich draus mach
Drum war es nun Zeit für meine wohl größte Schlacht!

Ich stand für mich selber ein,
wusste, dass wenn ich akzeptiere, wer ich bin,
bin ich nicht mehr allein
und ein stück weit in mir selbst daheim.

Denn da ist überhaupt nichts Falsches bei,
wenn ein Mensch einen anderen liebt,
und beide realisieren, dass es für sie nichts Schöneres gibt
als die Zweisamkeit, die sie (beide) teilen

Wer sind wir, wenn wir über das Glück anderer urteilen?

Das hier ist ein Appell an die Menschlichkeit
Und an die Geschichte, die jeder von uns täglich schreibt.
Wir können alle etwas Bewegen und aus alten Mustern ausbrechen
Und müssen uns fragen: Welches Zeichen möchte ich auf dieser setzen?
Wonach sollen meine Kinder streben
Nach welcher Devise meine Enkelkinder leben?

Ich finde, dass ein Miteinander, in dem jeder willkommen ist
Einen sehr guten Anfang verspricht.

Meine Mutter sagte mal zu mir:
„Ich sei nur ein kleines Licht, was sich gegen die Welt behaupten muss“
Drum will ich euch entzünden
und nehm euch auf meine Reise mit.

Meistens fangen große Geschichten im Kleinen an.
Und zwar so, dass sie anfangs nicht einmal Geschichten genannt werden.
Vielleicht sogar nicht einmal Poetry-Slam-Text oder Gedicht.
Sondern Appell an die Menschlichkeit,
der nur mit eurer Hilfe Geschichte schreibt.